Bild- sowie direkte und indirekte Textzitate nur unter genauer Quellenangabe!

Dienstag, 5. Oktober 2021

Zuschauerreaktionen

 

Die Druckwerbung des 27sten Festival Mondial Du Cirque De Demain von 2006 schmückt ein vor dem ersten Weltkrieg entstandenes Plakatmotiv des Karikaturisten und Illustrators Fritz Wolff für das Berliner Wintergarten-Varieté. Wolffs im wahrsten Sinne heiteres Motiv mit dem ursprünglichen Titel "Größte Heiterkeit im Winter-Garten" fand aus gutem Grund vielfach Verwendung in der Unterhaltungsbranche.
Plakate und insbesondere Programmhefttitel, auf denen sich die Wirkung einer Darbietung auf die Zuschauer gleichsam in ihren Gesichtern spiegelt, stellen eine besonders raffinierte Methode dar, die Qualität der Show auf indirekte und dabei sehr eindrucksvolle Weise herauszustellen.

Plakat von Jan Sawka 1974

Programmtitel von Martin Vollmeier

Donnerstag, 23. September 2021

"Mach Männchen!"

 
Cover eines französischen Magazins aus dem Jahr 1907

Hunde werden in der Regel nicht als typische „Circustiere“ angesehen, tatsächlich jedoch waren und sind die „Besten Freunde des Menschen“ bis hin zu einigen alternativen Circusprojekten der Gegenwart in vielen Shows präsent.
Gaukler ließen seit jeher ihre vierbeinigen Gefährten Kunststücke zeigen und auch im Kleincircus oder in der „Arena“ war eine Hundenummer immer für eine Aufstockung der zumeist spärlichen Programmfolge gut.
Ob Klein- oder Großcircus – lange Zeit präsentierten viele Dresseurinnen und Dresseure 
kostümierte Tiere und bisweilen imitierten sie, ganz in der Tradition der Hunde- und Affentheater des 19. Jahrhunderts, sogar menschliche Handlungen.1
In Westeuropa sind solche Darbietungen infolge eines geänderten Publikumsgeschmacks schon geraume Zeit nicht mehr zu erleben, es dominieren Nummern mit einem betont heiteren, verspielten und partnerschaftlichen Zusammenspiel der menschlichen und tierischen Akteure.
Solch ein Zusammenspiel zeichnete auch immer schon Auftritte von Clowns aus, die mit einem Hündchen auftraten, darunter beliebte Clowns der ehemaligen Sowjetunion wie Karandasch, Oleg Popov oder Boris Wjatkin.

Plakat von Liliana Baczewska 1965

Bildpostkarte um 1900

Französisches Schokoladen-Sammelbildchen um 1890


1 vgl.: https://circusplakate.blogspot.com/2018/01/anthropomorphismen.html

Freitag, 3. September 2021

Narrenfreiheit


Cover aus dem Jahr 1888 mit einer Illustration von Jan van Beers
 
Pic vom Circus Roncalli und Pierino vom Circus Krone zählten in den 1980er Jahren hierzulande zu den bekanntesten Circusclowns. Beide waren moderne Clowns der leisen Töne in der Tradition der französischen Ausformung des Pierrots, wohingegen der Stil ihrer Kostüme sehr weitgehend denen der Clowns um die um die vorletzte Jahrhundertwende entsprach, die vor allem mit groteskem Klamauk ihr Publikum zum Lachen brachten. Ihre bisweilen extravaganten Frisuren, vor allem aber die farbenfrohen, pludrigen und mit allerlei lustigen Motiven bestickten Kostüme, die noch stark an die englischen Clowns wie vor allem Joseph Grimaldi erinnerten, kennzeichneten sie als Außenseiter, die sich weder in ihrem Verhalten noch in ihrem Äußeren an die strengen Konventionen ihrer Zeit halten mussten, sie genossen Narrenfreiheit.
Mit der Verbreitung des August als Widerpart wurden die Clowns im Auftreten und ihrem Erscheinen seriöser und nahmen dem „neuen“ Vertreter der „Lustigen Figur“ gegenüber wieder autoritäre Züge an, während in den großen amerikanischen Circusshows die exzentrischen Vertreter der Gattung weiterhin ihre anarchischen Späße trieben. In Europa lebte die Gestalt des ursprünglichen Circusclowns auf Plakaten und Programmheften fort – oder eben in nostalgischen Outfits von Clowns unserer Tage, wobei das bekannte Kostüm Pics eine lediglich in der Farbgebung veränderte und ansonsten exakte Kopie eines von Dudley Hardy 1920 für Bertram Mills gemalten Clowns darstellt.

Liebig-Sammelbildchen von 1903

Programmcover 1953

1916 gelaufene niederländische Bildpostkarte

Montag, 30. August 2021

Purismus


Edouard Goerg (W. George: Goerg. Paris 1929)

Die Kritik an der vermeintlichen Verfremdung der circensischen Kunst durch „wesensfremde Elemente“ ist fast so alt wir der neuzeitliche Circus selbst (vgl. https://circusplakate.blogspot.com/2019/12/nostalgia.html) und lässt sich auch heute auf traditionelle Unternehmen übertragen, die versuchen, ihre Programme durch aufwändige Showelemente, vordergründige technische Effekte und nicht zuletzt grenzwertig-kitschige Anleihen an Musical sowie Schlager/Pop- und Rockkonzerte einem breiten Publikumsgeschmack anpassen.
Andere, wie lange Zeit der Circus Alexis Gruss, erreichen ihr Publikum durch völlig entgegengesetzte "authentische" Konzepte. Auch viele dem „Cirque Nouveau“ zuzurechnende Ansätze entsprechen grundsätzlich puristischen Auffassungen von der Circuskunst, wie sie Rudolf Großmann in einem sehr lesenswerten Artikel unter der Überschrift „Zur Psychologie der Manege“ 1934 in der Zeitschrift „Der Querschnitt“ formulierte, und erscheinen vor diesem Hintergrund gar nicht so „neu“: Großmannn sah im „Preisgegebensein“ des Artisten in der Manege inmitten der ihn von allen Seiten umgebenden Zuschauer die „Magie des Zirkus“, die in Gefahr sei, „in Massenhaftigkeit und Mechanisierung zu ersticken“ und forderte eine Art „Traditionsgebundenheit", wie sie das japanische No-Theater auszeichnet. „Es gibt überkommene Formen, die nicht modernisiert werden können, ohne daß sie ihr Wesentliches verlören, ihren 'Sinn'.“

Sowjetisches Circusplakat aus dem Jahr 1968 von
Vladimir S. Kostjuschin

Schutzumschlag eines russischen Circusbuches aus dem Jahr 1969

Illustration im Programm der Gala de l'Union des Artistes 1950

Weniger ist (nicht immer) mehr

 
Maciej Urbaniec 1973

Vor einigen Wochen verstarb ein ganz Großer seiner Kunst, der Jongleur Chris Christiansen. Seine Darbietung gipfelte nicht in der Jonglage einer möglichst großen Anzahl von Bällen oder Keulen, sondern in einer „magischen Balance“ mit einem Ball, bei der, wie Jens Thorwächter-Jeton in seinem Nachruf in der „Circuszeitung“ vom August 2021 schreibt, „der weiße Ball aus dem Genick heraus langsam den Rücken herabrollt, während sich Chris geschmeidig in den Handstand begibt. In höchster Präzision gleitet der Ball entlang der gestreckten Beine, um mit dem letzten Hauch von Energie oben auf den Fußsohlen zum Erliegen zu kommen – ein Moment der Vollkommenheit.“

Eine im Einsatz der Mittel derart konsequent reduzierte Performance bei so weitgehendem Körpereinsatz ist eher untypisch für die Jonglage im Circus, bei der i.d.R. Geschwindigkeit und Effekte im Vordergrund stehen. Die meisten Jongleure, die Technik und Ausstrahlung hierbei in besonders wirkungsvoller Weise vereinigen, stammen wie so viele ausdrucksstarke Artisten aus Südeuropa. Der bekannteste Jongleur aller Zeiten – Enrico Rastelli – war Italiener.
Aber auch Jongleure aus anderen Breiten zelebrier(t)en die Kunst der Jonglage auf eigene überzeugende Weise, ein Meister seines Faches hierzulande war zuletzt Francis Brunn.
Ein „Weniger ist mehr“ pflegen hingegen oftmals die im öffentlichen Raum oder in alternativen Circusprojekten auftretenden Berufskollegen zumeist weniger aus künstlerischen Erwägungen. Ihre mehr oder weniger originellen dramaturgischen Mittel, um das nicht selten bescheidene Repertoire bzw. den niedrigen Schwierigkeitsgrad der Tricks zu kaschieren, können dabei nicht immer so ganz überzeugen.

"Jongleure" - Russisches Circusplakat

Bram Vermeulen 1993

Montag, 16. August 2021

Malaga

 

Marcel Vertès: Écuyère (France Illustration, No 88, Numéro Spécial d'Été. 1947)


Der Reiz, den Artisten und insbesondere Artistinnen auf Bürger, Aristokraten und das „gemeine Volk“ gleichermaßen verströmten (dazu: https://schaubuden.blogspot.com/2016/11/lustobjekte.html), fand in verschiedenen literarischen Werken seinen Nachklang.
In Balzacs 1841 erschienener Erzählung „Die falsche Geliebte“ täuscht der adlige Tadeusz Paz eine leidenschaftliche Beziehung zur Akrobatin und Kunstreiterin Malaga allerdings nur vor, um von seinen Gefühlen für die Frau seines besten Freundes abzulenken – und beschwört dabei geradezu stereotype Bilder von der Artistin, die einmal mehr zur Projektionsfläche männlicher Sehnsüchte nach einem Frauentypus außerhalb der eigenen Gesellschaftsordnung wird:
„Ja, ich, Graf Paz, ich bin toll verliebt in ein Frauenzimmer, das mit der Familie Bouthor durch Frankreich zog. Das waren Zirkusbesitzer nach Art des Zirkus Franconi, aber sie verdienten ihr Geld nur auf Jahrmärkten. Ich sorgte dafür, dass sie vom Olympia-Zirkus engagiert wurde. Malaga - so lautet ihr Künstlername - ist kräftig, behend und geschmeidig. Warum ich sie allen anderen Frauen vorziehe? Wahrhaftig, das vermag ich nicht zu sagen. Wenn ich sie sehe, die schwarzen Haare von einem blauen Atlasband zusammengehalten, das auf ihre bloßen olivengelben Schultern herabfällt, in einer weißen Tunika mit goldner Borte und in einem Seidentrikot, das sie zur lebenden griechischen Statue macht, wie sie dann (...) durch einen riesigen Reifen springt, dessen Seidenpapier in der Luft zerreißt, wenn das Pferd in gestrecktem Galopp unter ihr wegeilt und sie mit Anmut wieder auf seinen Rücken fällt, wenn das ganze Volk (…) Beifall klatscht … ja, das packt mich. (…)
Diese wunderbare Behändigkeit, diese beständige Anmut in beständiger Gefahr scheint mit der schönste Triumph einer Frau. (...) Sie hat die Kraft eines Herkules und kann sich mit ihrer zierlichen Hand oder mit ihrem kleinen Fuß drei bis vier Männer vom Leibe halten. Kurz, sie ist eine Göttin der Gymnastik. (…)
Sie ist sorglos wie eine Zigeunerin, sagt alles heraus, was ihr gerade einfällt, sorgt sich um die Zukunft soviel wie sie um einen Heller (…) und sie hat herrliche Einfälle“

In der Novelle „Sacha“ vom Maurice de Marsan scheint die Artistin 
den Avancen eines berühmten Malers zunächst zu folgen ...
 (Gil Blas vom 13.7.1898 mit einer Titelillustration von Th. Steinlen)

Im Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“  von Thomas 
Mann ist es die Trapezartistin Andromache, „Die Tochter der Lüfte“, 
die der junge Romanheld anbetet. Ihre Beschreibung lässt unwillkür- 
lich an „Le Femme au Trapèze“ von Felcien Rops denken. 
(Druck unbekannter Provenienz um 1920)

Illustration im Programm der Gala de l'Union des Artistes 1950

Donnerstag, 12. August 2021

"Wir alle spielen Circus

 
Illustration von Eugene Iverd aus einer Werbeanzeige (Saturday Evening Post vom 3.9.1930)

... Busch“ ist der Titel eines bekannten Werks Heinrich Zilles, das einen Berliner Hinterhof zeigt, in dem Kinder ein Circusprogramm aufführen. Die Lithografie entstand in den frühen 1920er Jahren als Teil einer Reihe von Friedländer-Plakaten für den Circus Busch, daneben schuf Zille noch weitere Variationen dieses Motivs.

Kinder, die Circusprogramme nachspielen bzw. einzelne Darbietungen imitieren, waren ein beliebtes Genre-Motiv illustrierter Zeitschriften wie hier der Saturday Evening Post. Eine sehr originelle filmische Umsetzung des Themas stellt darüber hinaus die Folge „Clown Princes“ (1939) aus der populären Reihe „Our Gang“ bzw. „The little Rascals“ dar, die in Deutschland unter dem Titel „Die kleinen Strolche“ lief.

Stevan Dohanos

Frederic Stanley

"Zirkusspiele" (1924) in: Otto Nagel: H. Zille. Berlin 1968, S.142


Donnerstag, 22. Juli 2021

"Darum zu Barum"

 
Großplakat von Bruno Napoli.

Am 20. Juli verstarb Gerd Siemoneit-Barum. Sein Name steht für eine Ära und den klassischen (Tier-)Circus', der in ihm hierzulande seinen populärsten Vertreter hatte.
 
Mitte der 70er Jahre besuchte ich erstmals eine Vorstellung des Circus Barum, den der populäre Dompteur einige Jahre zuvor nach dem Tod Margarete Kreiser-Barums übernommen hatte.
Für mich war das ein prägendes Erlebnis und Siemoneit-Barum blieb mein Lieblingscircus, den ich seit Mitte der 80er Jahre bis zu seiner Einstellung im Jahr 2008 jährlich besuchte.
Dieser Circus übte eine besondere Faszination aus, die ihn erfolgreicher machte als viele Mitbewerber. Die Shows begeisterten ihr Publikum nachhaltig und Barum konnte im 3-Jahres-Rythmus die selben Städte besuchen – die Leute kamen immer wieder, darunter viele Menschen, die sonst eigentlich nicht in den Circus gingen.
Was machte nun diese besondere Faszination aus? Meiner Meinung nach war es das professionell und mit Leidenschaft in Szene gesetzte im besten Sinne „Puristische“ der kurzweiligen Programme.
Zwar experimentierte auch Siemoneit in den 80ern infolge der damaligen Krise des klassischen Circus und des Roncalli-Erfolgs mit neuen Konzepten und verschlankte sein Unternehmen – Ende des Jahrzehnts hatte er mit der Fokussierung auf das, was Circus ausmacht und ihn von anderen Unterhaltungsformen abhebt aber seinen eigenen Weg gefunden. Barum war ein authentischer Circus mit Atmosphäre, sehr stimmungsvoll und publikumswirksam, aber schnörkellos in Szene gesetzt, von einem hervorragenden Orchester mit perfekt ausgewählten Arrangements begleitet und bis zum Beginn der 2000er Jahre ohne Füllnummern, ohne Pop-Sing-Sang, Ballett, Nostalgie-Kitsch oder andere bemühte Anleihen an Musical, Revue, Theater oder „den“ Cirque-Nouveau.
Bei Barum engagierte Artisten mussten in der Zeit, in der Gerd-Siemoneit die Programme zusammenstellte, eine besondere, bestenfalls heitere Ausstrahlung besitzen, Originalität und Qualität waren ihm wichtiger als Quantität. Die flott aber nicht gehetzt ablaufenden Programme unterschieden sich deutlich von denen der Mitbewerber: Circus war zu jener Zeit durchaus nicht austauschbar oder „immer das Gleiche“.
Zu den Höhepunkten gehörten natürlich die ausgezeichneten Tierdarbietungen, allen voran die berühmten Raubtierdressuren des Chefs, darüber hinaus förderten Starnummern wie die von Borra oder Don Martinez die Gastspielerfolge. Insgesamt waren es aber zweifellos die Programme in ihrer Gesamtheit, die das Publikum begeisterten und den langfristigen Erfolg des Unternehmens begründeten. 
 
Ein Highlight der Shows vor ca. 30 Jahren waren für mich die „Flying-Rodleighs“ - und wahrscheinlich kam diese Darbietung in diesem Circus und mit diesem Orchester am besten „rüber“: https://www.youtube.com/watch?v=X6Kw3QFAhVU

Portrait Siemoneits von Bruno Napoli auf einem viele Jahre eingesetzten "Ladenhänger".

Zum 100jährigen Bestehen des Circus Barum zierte erstmals dieses anschließend
 ebenfalls lange Zeit in Gebrauch befindliche Cover Napolis die Programmhefte.

Sonntag, 18. Juli 2021

Prachtausgaben


Titelblatt der Ausgabe von 1961 (Jean Cocteau)


Von Amateuren gestaltete Circusprogramme haben in Frankreich eine große Tradition, die untrennbar mit dem berühmten von 1880 bis 1933 existierenden Cirque Molier verbunden ist.
Seit 1923 veranstaltete die Vereinigung der darstellenden Künstler Frankreichs alljährlich eine Gala zur Unterstützung notleidender Kolleginnen und Kollegen. In diesen Programmen, die zumeist im Pariser Cirque d'Hiver der Familie Bouglione stattfanden, präsentierten populäre Unterhaltungskünstler Darbietungen in Anlehnung an die Nummern von Circusartisten, die diese zuvor mit ihnen einstudiert hatten. In Anlehnung daran entstanden anderen Ländern entsprechende Benefiz-Veranstaltungen wie „Stars in der Manege“ im Circus Krone.
Über viele Jahre hinweg wurden als erweiterte Programmhefte umfangreiche und aufwändig gestaltete großformatige Broschuren in limitierter und nummerierter Auflage angeboten, die nicht zuletzt die Faszination vieler berühmter Maler und Grafiker für den klassischen Circus widerspiegelten, die oftmals eigens Werke für diese Publikationen erstellten. Einige bekannte Künstler steuerten sogar sämtliche Illustrationen einzelner Exemplare bei, aber auch verstorbenen Malern wie Toulouse Lautrec oder Chagall waren die Ausgaben einiger Jahre gewidmet.

1964 besorgte Jean-Denis Malcles die künstlerische Gestaltung
 einschließlich aller Illustrationen wie dieses Cover. 

Cover der Ausgabe von 1961 (André Hambourg)


Federzeichnung von Dufy in der Ausgabe von 1950

Donnerstag, 10. Juni 2021

Varieté und Revue – sechzehnter Exkurs


Paris um 1898 - Viele Gebrauchsgrafiker zeigten sich zu dieser
Zeit von Jules Chéret und Jules Alexandre Grün beeinflusst.
Dieser Programmtitel zeigt Einflüsse beider. 

Die „Belle Époque“, die Jahre um die vorletzte Jahrhundertwende, bildete wie späterhin die 1920er Jahre eine Blütezeit großstädtischer Vergnügungsetablissements. Viele Plakate und Programmtitel dokumentieren gewisse Klischees dieser Zeit, die für das damalige Publikum von besonderer Anziehungskraft gewesen sein dürfen. Zum einen war das eine mehr oder weniger ausgeprägte frivole Aura, die Artistinnen und Tänzerinnen zugewiesen wurde, zum anderen das mondäne Flair von Besuchern aus der „besseren Gesellschaft“, das sich auf das normale kleinbürgerliche Publikum ein Stück weit zu übertragen schien. "Der Zeitgeist war beherrscht von jener ästhetischen Lüge, die auch für die Armen an Geist und Gut eine sogenannte "Elegance" schaffe wollte, (...), die an falschen Hermelins und Simili-Brillanten die Eitelkeit des Großstädters befriedigte." (Schmidt-Carlo: Stil und Luxus am Kabarett. In: Die Kleinkunst in Wort und Bild, Tanz und Musik, 2.Jg, Nr.24. München 1921)

Anzeige in einer Ausgabe der Zeitschrift "Die Woche" des Jahres 1914

Programmtitel von Georges Meunier (1899)

Programmcover der Apollo-Varietés, Wien 1910

Donnerstag, 6. Mai 2021

Pulps


Hans Stosch-Sarrasani ließ in den 1920er Jahren zu Re-
klamezwecken eine Heftreihe mit seinen vermeintlichen 
weltweiten Abenteuern schreiben und verbreiten.
 
Die 1930er bis 50er Jahre waren in den USA die große Zeit der Pulp-Magazine – Trivialliteratur mit reißerischen, höchst „augen-fälligen“ und auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmten Titelbildern überaus fähiger Illustratorinnen und Illustratoren als wichtigste Kaufanreize. Dieser farbenfrohen äußeren Gestaltung stand ein in zweifacher Hinsicht „billiger“ Inhalt hinsichtlich der literarischen als auch der materiellen Qualität gegenüber. Die „Pulpe“, der grobe Faserbrei, aus dem das minderwertige Papier hergestellt wurde, gab den Magazinen ihren Namen. Die deutschen „Groschenhefte“ fielen vor dem Krieg zumeist in Machart und Inhalt deutlich zurückhaltender aus. Erst in den 1950er Jahren, als in Amerika die „Pulps“ zunehmend an Verbreitung verloren, kamen hierzulande vergleichbar aufgemachte Romanhefte auf, die sich bis in die 1990er Jahre hinein großer Beliebtheit erfreuten, wenngleich die Coverillustrationen i.d.R. weniger beeindruckend waren.
Der Circus nahm als Thema der Action-, Liebes-, Horror-, Kriminal- oder Abenteuergeschichten keine besondere Rolle ein. Interessant sind aber stilistische Entsprechungen zu Plakaten für B-Filme und Circusse – und nicht von ungefähr gestalteten vor allem italienische und spanische Grafiker häufig gleichermaßen Circus- bzw. Filmplakate sowie Titelbilder von Heftromanen und Comics.

Walter Molino

H.J. Lührs

Vicente Ballestar

Samstag, 10. April 2021

Varieté und Revue - fünfzehnter Exkurs

 
Cover von Klaus Vonderwerth (1985)
Große Revuetheater verfüg(t)en stets über eigene Tanz-Ensembles. 

In den populären Revuen der 1920er Jahre waren Ballett-Ensembles obligatorisch; und so tourten seinerzeit zahlreiche Tanztruppen durch Europa, die von Varietés, die in der Regel über kein eigenes Ensemble verfügten, für einzelne Revue-Produktionen engagiert wurden. Die wenigsten erreichten eine annähernd große Bekanntheit wie die erfolgreichen Tiller-Girls und nicht wenige Träume junger Mädchen von einer Bühnenkarriere dürften während der Tourneen durch die Provinz und die Tingeltangel-Theater der Vorstädte ein Ende gefunden haben.
Insbesondere Publikumszeitschriften nahmen sich des Themas oftmals mit einem voyeuristischen Blick und fast immer mit einem satirischen Unterton an. Die Zeitschrift „Jugend“ widmete den „Girls“ im November 1928 sogar ein ganzes Heft, in dem u.a. dieses Gedicht von Erich Kästner abgedruckt war:
Wir können bloß in Reih und Glied
und gar nicht anders tanzen.
Wir sind fast ohne Unterschied
und tanzen nur im Ganzen.
Von unsern sechzig Beinen
sind dreißig immer in der Luft.
Der Herr Direktor ist ein Schuft
und bringt uns gern zum Weinen.
Wir tanzen Tag für Tag in Takt
das ewig gleiche Beinerlei.
Und singen laut und abgehackt,
und sehr viel Englisch ist dabei.
Wer wenig Brust hat, wird sehr gern
und oft als nacktes Bild verwandt.
Vorn sitzen ziemlich dicke Herrn
und haben uns aus erster Hand.
Wir haben seinerzeit gedacht,
dass Tanzen leichter wäre!
Wir haben mancherlei gemacht.
Nur keine Karriere.
Wir haben niemals freie Zeit
und stets ein Bein erhoben.
Was wir verdienen, reicht nicht weit,
trotz Tanz und Film und Proben.
Wir waren lange nicht zu Haus.
Wir leben nur auf Reisen.
Und ziehen ein. Und ziehen aus.
Und fühlen uns wie Waisen.
So tanzen wir von Stadt zu Stadt
und stets vor andren Leuten.
Und wenn uns wer gefallen hat,
hat das nichts zu bedeuten.
Bald fahren wir nach Übersee,
ab Hamburg an der Elbe.
Die Zeit vergeht. Das Herz tut weh.
Wir tanzen stets dasselbe.

Kurt Heiligenstaedt 1924

Simplicissimus März 1926 - Eduard Thöny

Simplicissimus März 1925 - Ludwig Kainer


Samstag, 13. März 2021

Varieté und Revue - vierzehnter Exkurs

 


Viele Varietés präsentierten zwischenzeitlich Programme im Revue-Stil, konsequent beschritt diesen Weg in Deutschland jedoch nur das 1920 eröffnete Berliner Varieté „Scala“. Direktor Jules Marx verstand es von Beginn an, die Programme durch Revue-Elemente publikumswirksam in Szene zu setzen. Einige Shows ließ er sogar als „Varieté-Revue“ inszenieren, bei der die artistischen Darbietungen in eine szenisch gestaltete Revue eingebunden waren. Marx' Nachfolger Eduard Duisberg setzte diesen Weg konsequent mit eigenen Inszenierungen fort, seit 1934 konnte er dabei mit den „Scala-Girls“ über ein eigenes großes Ballett-Ensemble verfügen.

Nach dem Krieg stand insbesondere der zunächst als „Weltstadt-Varieté“ und anschließend als "Revuetheater und Varieté" bezeichnete Ostberliner Friedrichstadtpalast für eine enge Verknüpfung von Varieté und Revue. Zur 750 Jahr-Feier Berlins gastierte im drei Jahre zuvor eröffneten neuen Friedrichstadtpalast sogar ein großes Pariser Ensemble mit der Show "Bonsoir Paris" ganz im Stil der Seine-Metropole.

Obwohl im Friedrichstadtpalast die Artistik immer noch eine Rolle spielt, steht der Revue-Charakter, ergänzt durch moderne Musical-Elemente, bei den aufwändig in Szene gesetzten Produktionen für ein zumeist touristisches Publikum mittlerweile im Vordergrund. Folgerichtig taucht der Begriff „Varieté“ nicht mehr auf.