Anschlagzettel des Circus Blennow von 1860 |
„Das
Publikum beteiligte sich indessen sehr bedeutend an diesem ersten
Abend, für den auf riesengroßen, farbigen Anschlagzetteln
Außerordentliches versprochen worden.“ (Friedrich
Gerstäcker: Der Kunstreiter. 1861)
Mit dem Anwachsen der Städte und der zunehmend engeren Einteilung des Alltags in Arbeits- und (wenige) Freizeit hatten sich die Bedingungen für fahrende Unterhaltungskünstler geändert. Es war nun sinnvoll, sich zu größeren Gesellschaften zusammenzuschließen, Gastspiele auszudehnen und nicht zuletzt feste, den reglementierten Tagesabläufen angepasste Vorstellungszeiten anzugeben.
Angesichts dessen genügte es nicht mehr, unmittelbar vor der nächsten Vorstellung eine Parade abzuhalten oder einfach „mit Pauken und Trompeten“ Publikum anzulocken.
Die Werbung musste den veränderten Bedingungen angepasst werden. Eine besondere Bedeutung kam dabei der Druckwerbung zu.
Die in diesem Zusammenhang Mitte des 18. Jahrhunderts vermehrt aufkommenden Anschlag- oder auch Ankündigungszettel für artistische Produktionen, Schaustellungen und Theatervorstellungen erfüllten zum Großteil vergleichbare Funktionen:
„Die gedruckte Ankündigung Alles dessen, was ein Theater dem Publikum bekannt machen muß oder bekannt zu machen für gut hält. Die Z. sind sowohl für den Anschlag in den Straßen, als für Vertheilung in den Wohnungen und während der Vorstellung unter das Publikum bestimmt. (…) Bei einigen Bühnen unterscheiden sich die Anschlag-Z. von denen, welche dem Publikum während der Vorstellung gegeben werden, (…), so daß die letzten kleiner und handbarer sind.” (Allgemeines Theater-Lexikon, Altenburg und Leipzig 1842, Bd.7, S.239)
Das Theater-Lexikon deutet auch den entscheidenden Unterschied zwischen den Zetteln der örtlichen Theater und dem „martkschreierischen Bombast reisender Prinzipäle“ an. Erstere hatten eine ausgeprägtere informierende Funktion, während die Anschläge der Schausteller, Wanderbühnen und Artisten als direkte Vorläufer der Plakate zudem in verstärktem Maße Werbezwecken dienten.
Dies zeigt sich nicht nur in bisweilen reißerischen Anpreisungen, sondern mehr noch in der auffälligen Ausgestaltung ihrer Zettel mit markanten Lettern, zum Teil mit Zierrändern und -leisten, vor allem aber mit prägnanten Holzschnitten und seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zuweilen auch Holzstichen. „Riesengroß und farbig“ waren die allenfalls auf farbiges Papier gedruckten Zettel in aller Regel jedoch nicht. Vielmehr entsprach die Größe zumeist ungefähr heutigen Din-A3-Bögen, oft fielen sie auch deutlich schmaler aus.
Für die örtlichen Druckereien werden die Zettel ein lukratives Geschäft gewesen sein. Da die Programme von Kunstreitergesellschaften und dergleichen während eines Gastspiels häufig - mitunter täglich - wechselten oder zumindest variierten, um zum wiederholten Besuch der Vorstellungen anzuregen, und da die Programmfolgen im Gegensatz zu den meisten späteren Circusplakaten genau aufgeführt wurden, mussten ständig neue Zettel unter Verwendung der von den Reisenden mitgeführten Druckstöcke für die Abbildungen gedruckt werden, die oft erst am Tag der Vorstellung aufgehängt bzw. verteilt wurden.
Durch die genaue Beschreibung der aktuellen Nummernfolgen und die Hinweise auf Vorstellungsorte und -zeiten unterschieden sich die Anschlagzettel von den bebilderten Schaustellerzetteln des späten 16. bis frühen 18. Jahrhunderts. Diese Einblattdrucke zählten eher zu den käuflich zu erwerbenden Flugblättern, warben in der Regel nicht für bestimmte Vorstellungen und beinhalteten allenfalls grob gefasste Angaben zu einem konkreten Gastspiel.
Die Ankündigungszettel hingegen wurden an Zäune und Bretterwände angeschlagen bzw. an Hauswände gekleistert, in öffentlichen Gebäuden sowie Gaststätten ausgelegt oder auch in Privathaushalte gebracht. Obwohl es hierfür vielerorts konzessionierte Zettelträger gab, zuweilen sogar Personen, die eigens die Anschläge besorgten, brachten Artisten- und Schausteller ihre Zettel nach Möglichkeit durch Arbeitsburschen oder Familienangehörige unters Volk.
Mitunter warben die Anschlagzettel für Benefiz-Vorstellungen zugunsten einzelner Artistinnen oder Artisten, denen die Einnahmen zugute kamen. Künstler, die beim Publikum besonders großen Erfolg hatten, konnten die meisten Benefize mit der Direktion aushandeln und somit beträchtliche Einnahmen erzielen. Aber auch für in Not geratene Mitglieder der Gesellschaft wurden Benefizveranstaltungen abgehalten.
1967 entdeckte John Lennon den Zettel einer Benefiz-Vorstellung von Pablo Fanques Circus aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in einem Antiquitäten-Laden und vertonte den Text. Der Song „Being for the Benefit of Mr. Kite!“ wurde Teil des legendären Albums „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“ der Beatles.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verdrängten (lithografierte) Plakate die Anschlagzettel mehr und mehr, ersetzten sie aber nicht vollends: Obwohl es durchaus kleinformatige lithografierte Plakate gab, blieben bis zum Aufkommen der zumeist im preiswerten Offset-Druck hergestellten sogenannten „(Laden-)Hänger“ für den Aushang in Geschäften und den Anschlag auf Scheunentoren, Bauzäunen, Mauern usw. aus Kostengründen auch im neuen Jahrhundert Kleinplakate im Typendruck mit einfachen Grafiken oder auch Autotypien im Einsatz. Einige waren auf farbiges Papier oder mit zwei Farben gedruckt, um ihre Auffälligkeit zu steigern.
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