Polnische Plakatkunst: Circusplakat von Jerzy Czerniawski (1975) |
Die in
diesem Blog vereinten Themen Gebrauchsgrafik und Circus haben eine
Gemeinsamkeit in ihrer Rezeption - werden doch beide nicht zuletzt im
Zuge der Aufwertung der Popkultur bisweilen zur „Kunst“ erhoben,
womit weit mehr gemeint ist, als etablierte und im weiteren Sinne
absolut zutreffende Begriffe wie „Plakat-, Circus- oder Unterhaltungskunst“
intendieren.
„Stichworte wie Sättigung eines emotionalen
Defizits, Aufhebung der Entfremdung von Körper und Geist, Leben und
Arbeiten, Sein und Schein, verweisen auf den Circus als kleine
Gegenwelt, geben ihm einen kulturellen Wert, den wir abwerten, wenn
er uns nur unterhält, ohne dass wir ihn ernst nehmen.“ (Reiner
Kissels)
„Circus
ist damit trotz seines eigenen Konfliktgehaltes im Innern wie nach
außen und trotz der Härte seiner Wirklichkeit vor und hinter den
Kulissen ein zarter Widerspruch zur modernen Massengesellschaft mit
ihren präfabrizierten Kulturangeboten, kommerzialisierten
Kunstprodukten und künstlich begrenzten Erfahrungsfeldern.“
(...)
„Die
Leistungen von Akrobaten, Dresseuren und Clowns sind je für sich
genommen und im mehr oder weniger komponierten Vorstellungsganzen
Auftritt für Auftritt Kunstwerke. Ensemble tradierter Regeln,
Fertigkeiten und Erkenntnisse zwar, aber auch persönlich variierter,
inspirierter und erneuerter Ausdruck menschlichen Wollens und
Könnens, spielerischer Umgang von Menschen mit kreatürlicher und
dinglicher Umwelt, ästhetisch in Form gebrachte Gestaltungsfähigkeit
und in erster Linie Selbstzweck.“ (Claußen)
Trotzdem meine ich, einen Kunstbegriff voraussetzend, der ein „reflektierendes
Element“ beinhaltet, ist Circus keine Kunst im engeren Sinne und die Ansprüche, die dabei an ihn gestellt werden, kann und soll er nicht erfüllen. Bestimmte
Entwicklungen des „Cirque Nouveau“ bzw. ihre Rezeption relativieren diese
Sichtweise allenfalls, widersprechen ihr jedoch letztlich nicht.
Artisten
sehen sich mit Fug und Recht als Künstler, ihr Tun aber zumeist als
Arbeit:
„Die
Artisten leisten, wie sie es selbst nennen, 'runde Arbeit'. Sie
kommen in die leere Arena und bleiben was sie sind. Sie stellen
nichts dar. Ihre Arbeit lässt sich nicht soufflieren, sie ist kein
Nachvollzug fremden Sinns und hat auch keinen eigenen. Der Circus hat
sich selbst zum Gegenstand, seinen Körper, seine Gesten.“
(Bose/ Brinkmann)
Anachronismen
wie der kleine Wandercircus, einige der
verbliebenen „traditionellen“ Unternehmen oder Werke von Schriftstellern, bildenden Künstlern und Filmemachern wie Federico
Fellini vermitteln eine im Verschwinden begriffene, einmalige und
vielschichtige sinnliche Dimension „des“ „traditionellen“
Circus – unabhängig davon, ob sie in den Vorstellungs- und
Bildwelten der Betrachter oder der Realität verortet ist und die mit
dem viel- und überstrapazierten Begriff „Circusromantik“
durchaus ansatzweise umschrieben werden könnte, wenn dieser
nicht in so hohem Maße von klischeehaften, simplifizierenden und
rückwärtsgewandten Sichtweisen bestimmt wäre.
Die
vermeintliche „Erhöhung“ des Circus zur Kunstform ist hingegen
stets ein letztlich intellektuelles Unterfangen, das sich nicht
zuletzt in der besonders hierzulande oftmals ausgeprägten
Distanzierung des „Cirque Nouveau“ bzw. seiner Anhänger vom
„gewöhnlichen" und in ihrem Verständnis überholten Circus zeigt. Diese „Intellektualisierung“
bzw. „Vereinnahmung des Circus durch bürgerliche
Artistik-Amateure“ (Werner Heidermann) höhlt die kulturellen
Eigenarten bzw. die einzigartige „ästhetische Praxis“
traditioneller Circusse aus, wertet sie ab und löst sie als
verzichtbare Aneinanderreihung „assoziativer Formeln“ innerhalb
eines „zirkuswissenschaftlichen“ Diskurses bewusst auf.
Demgegenüber greifen einzelne, dem „Cirque Nouveau“ zuzuordnende Gruppen insbesondere in Frankreich gerade auch diese „ästhetische Praxis“
und spezifische Unterhaltungskultur auf, führen sie kreativ weiter, nehmen ihre liebens- und erhaltenswerten Anachronismen „ernst“ und integrieren sie - oftmals mit einem Augenzwinkern - in eigene Konzepte. Gemeinsam ist ihnen eine vitale Spielfreude, Talent der
Akteure und der Verzicht auf die Inszenierung eines zur Schau
gestellten vordergründig künstlerischen Anspruchs, der zuweilen mit einer vergleichsweise bescheidenden artistischen Leistung einhergeht. Diese Shows zeigen denn auch Schnittmengen "des" "traditionellen" Circus mit "dem" Cirque Nouveau auf, deren enormes Potential bislang leider nur ansatzweise ausgelotet wurde.
Der Cirque Nouveau vollzieht dabei durchaus keine Loslösung von der Geschichte des Circus, vielmehr betont er einige zurückgedrängte Bestandteile wie beispielsweise narrative, theatralische oder auch bestimmte clowneske Elemente. Andererseits löst er sich mehr oder weniger von einer durchaus ausgeprägten und immer auch durch Menschen, die „von Privat“ kamen, vorangetriebenen geschichtlichen Entwicklung, um den Circus quasi neu zu erfinden und ihm zu einem neuen, „künstlerischen“ Stellenwert zu verhelfen. Dabei wird im Bewusstsein, „Kunst“ zu schaffen, „dem“ traditionellen, ungemein facettenreichen, wandlungsfähigen und nicht zuletzt durch das Können sowie die Ausstrahlung seiner Artisten begeisternden „nur unterhaltenden“ Circus bisweilen mit einer gewissen Überheblichkeit begegnet, die dogmatische Züge aufweist.
„Ich
bin der Meinung, dass es sich bei dem, was der Artist leistet, um ein
„Kunststück“ handelt, während es sich bei dem, was der
Schriftsteller, der bildende Künstler schafft, allerdings auch nur
im besten Fall, um ein „Kunstwerk“ handelt.
Picasso
hätte nie das Bild, „das Kunstwerk“ geschaffen, auf dem er einen
Jungen auf der Kugel balancierend dargestellt hat, wenn er nicht
zuvor das „Kunststück“ in einer kleinen spanischen Circus-Arena
erlebt hätte. (…) Beim Artisten gibt der persönliche Charme, (…),
den Ausschlag, beim Künstler ist es immer wieder die Kraft, das
Erlebte zu reflektieren, überhöhen zu können. (…) Der Artist (…)
betreibt sein Spiel um des Spiels willen. Der Künstler ist immer mit
einer bestimmten Absicht am Werk. Dabei bleibt unbestritten, dass man
im Circus immer wieder etwas erlebt, das in seiner
Gleichnishaftigkeit etwas bringt, was auch das Kunstwerk ausmacht.
(…)
Es
ist der Unterschied zwischen dem Unbewussten und dem Bewussten. Der
Artist (…) stellt sich nicht der Frage nach dem 'Warum'. Dagegen
ist der Künstler darauf angewiesen, sich diese Frage zu stellen,
obwohl er weiß, dass es keine Antwort auf diese Frage gibt. Wie
dankbar ist er, wenn er mit anderen Menschen fasziniert durch das,
was sich in der Manege abspielt, das Fragen vergisst. Ich sitze immer
wieder im Circus und staune: Was findet hier eigentlich statt? Es ist
das Irreale, das Traumhafte, das hier – ein Widerspruch in sich –
realisiert erscheint. (…) Es lebe der Circus in seiner Unschuld.
Lasst uns nicht schuldig an ihm werden durch falsche Ansprüche, die
wir an ihn stellen!“ (Wilhelm M.Busch)
Auf der
anderen Seite werten wir große künstlerische Leistungen ab, wenn
wir im Zusammenhang mit einem solcherart verstandenen „erweiterten Kunstbegriff“ Formen
der Unterhaltungskunst oder auch des Kunstgewerbes, des
Kunsthandwerks usw. zur „Kunst“ erklären – wobei wir oftmals
eigentlich „nur“ unsere Bewunderung für das Gebotene und ihre
Urheber zum Ausdruck bringen wollen.
Die Unterhaltungskunst ihrerseits hat diese vermeintliche Aufwertung nicht nötig. Weit sinnvoller erscheint es mir, "Gute Unterhaltung" ganz gleich welcher Couleur von uninspirierten, leistungsarmen und niveaulosen Erscheinungen zu unterscheiden.
"Menschen, Tiere, Sensationen" Traditioneller Circus - Programmcover von Lennart Jirlow |
Musik-Circus - Cirque Nouveau at his best: Cirque Plume |
Circuskultur: Cirque Alexis Gruss - zeitlos schöner klassischer (Pferde-)Circus. Tuschezeichnung im Programm von 1999 |
Quellen:
- Bose, G.
und Brinkmann, E.: Circus. Geschichte und Ästhetik einer niederen
Kunst. Berlin 1978
- Wilhelm
M. Busch: Circus – was ist das? In: Claußen, B. und Tetzlaff, R.
(Red.): Circus in Hamburg. Hamburg 1982, S.193-196
Prof.
Wilhelm Martin Busch (1908-1987) studierte 1929-1932 an der Berliner
Akademie für freie und angewandte Kunst, arbeitete vor allem als
Illustrator sowie freier Zeichner und hatte einen Lehrauftrag an der
Hamburger Fachhochschule für Gestaltung.
- Claußen,
Bernhard : Circus – ein Stück traditioneller Alternativkultur. In:
Animation 6 (1985), S. 228-235
- Ders.:
Politisch-kulturelle Bildung im Circus? In: G. Koch (Hg.):
Experiment: Politische Kultur. Berichte aus einem neuen Altag.
Frankfurt/M. 1985
- Ders.:
(Familien-)Circus als Kulturgut und die Verantwortung der
(Kommunal-)Politik. In: Schriftenreihe des deutschen Städte- und
Gemeindebundes Nr. 4/86 und Nr.5/86
Professor
Bernhard Claußen (Jahrgang 1948) war Sozialwissenschaftler an der
Universität Hamburg. In den 1980er Jahren beschäftigte er sich
intensiv mit der kulturellen Bedeutung des traditionellen
(Familien-)Circus'.
- Reiner
Kissels: Das Stiefkind der Thalia – oder die ehrliche Schau
abgewerteter Gefühle. In: P. Burger (Hg.): Wir lieben den Circus.
Ehrenkirchen 1987, S.21
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