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Donnerstag, 8. Dezember 2022

Varieté und Revue - achtzehnter Exkurs


 
Asta Nielsen und Josef Fenneker sind vor allem als Künstler der Stummfilmzeit in Erinnerung geblieben – Asta Nielsen als ihre vielleicht größte Darstellerin und Fenneker als herausragender Filmplakatkünstler. Später wandten sich beide verstärkt der Bühne zu. 1934 brachte die Berliner Scala im November-Programm den ehemaligen Filmstar mit einem Akt aus Dumas' „Kameliendame“ zwischen verschiedenen Varieté-Nummern und einer Gesangsdarbietung von Claire Waldorff. Bühnenbild und obiger Programmtitel stammten von Josef Fenneker.
Die bedeutenden Kostüm- bzw. Bühnenbildner von Shows der großen Revue-Theater, Varietés oder Music-Halls waren sämtlich auch hervorragende Gebrauchsgrafiker, viele hatten sich wie Fenneker insbesondere als Illustratoren, Modezeichner oder Plakatkünstler einen Namen gemacht. Es liegt nahe, dass sie, wie hier bereits öfters erwähnt, oftmals auch die Plakate und Programmcover der Produktionen entwarfen. Vier von einigen der großen Namen gestalteten Programmtitel aus den 1920er und 30er Jahren werden hier beispielhaft gezeigt, in der Nachkriegszeit setzte sich diese Tradition unvermindert fort.

Für die opulenten Haller-Revuen im Berliner Admiralspalast 
besorgte Ludwig Kainer Ausstattung und Kostüme. 
Ein Künstler von ähnlichem Kaliber war Ernst Stern:
 https://titelblaetter.blogspot.com/search?q=Ernst+Stern

Cover von Charles Gesmar - Obwohl Gesmar gleichermaßen ein begnadeter 
Plakatgestalter und Kostümbildner war, stammten Kostüme dieser Produktion
 von Jose de Zamora, der wie Gesmar zahlreiche Programmcover schuf. 

Für dieses Wintergarten-Programm des Jahres 1931 
schuf Paul Seltenhammer offenbar nur den Programmtitel.
 Seltenhammer begann in den 1920er Jahren neben seiner
 Tätigkeit als Werbegrafiker verstärkt als Kostümbildner zu 
arbeiten, in der Nachkriegszeit konzentrierte er sich auf 
dieses Tätigkeitsfeld bei Film- und Fernsehproduktionen.

Sonntag, 6. November 2022

Aufbruchstimmung


1986

In den beiden letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts reisten in Deutschland zahlreiche alternative Circus(-Theater)-Shows, die Elemente der Artistik und anderer Formen der Kleinkunst, des Musizierens sowie des (experimentellen) Theaters miteinander verbanden.
Die Erscheinungsformen dieser Projekte waren sehr vielfältig. Meist handelte es sich um junge Menschen, die vom „Circusleben“ als alternative Lebensweise angezogen waren und mit Idealismus und Kreativität ausglichen, was ihnen bisweilen an Talent und Können fehlte.
Einige dieser Neuerer suchten Kontakt zu Mitgliedern traditioneller Circusfamilien, so die Initiatoren des Berliner "Tempodroms" um Inge Moessinger, die eng mit Paul Busch, dem Enkel von Paula Busch, sowie in den Anfangsjahren mit der Familie von Erwin Frank(ello) zusammenarbeitete und deren Tiernummern engagiert hatte. Star des Programms war der riesige Elefantenbulle "Tibor", zu dem Erwins Sohn Sony ein besonders inniges Verhältnis hatte. Irene Mossinger ließ sich von Erwin Frank zudem als Schulreiterin und in der Haustierdressur ausbilden. 
Auch Frieder Nögge produzierte sein aufwändig vorbereitetes „Manegentheater Salti Nögge“ gemeinsam mit Circusleuten. Die Zusammenarbeit der Familie von Alfred Scholl mit Nögge, dem Teatro Dimitri und weiteren Künstlerinnen und Künstlern im Jahr 1990 währte jedoch nur sehr kurze Zeit.
Etwas langlebiger waren einige der vielen kleineren Alternativ-Projekte, die zumeist keinerlei Beziehung zum traditionellen Circus pflegten. Ihre heutigen Nachfolger haben oftmals andere (künstlerische) Ansätze; bisweilen versprüht eine kleine Truppe wie der fast schon anachronistisch anmutende „Convoy Exceptionell" aber noch den besonderen Charme der Alternativkultur in den 80ern.

1986 - Illustration: Mali Beinhorn und Werner Büsch

2017 - Illustration: Riccardo Sammarco

siehe auch:


Donnerstag, 6. Oktober 2022

Varieté und Revue - siebzehnter Exkurs

 
Thomas Schleusing 1984

Die Cover der Programme des Ostberliner Friedrichstadtpalastes wurden bisweilen von bekannten Größen der Grafiker- bzw. Illustratorenszene der DDR wie Klaus Vonderwerth (vgl. 15. Exkurs) oder Thomas Schleusing gestaltet. Besonders originelle Titel stammten darüber hinaus von dem weitgehend unbekannten Grafiker Bobbi Richter aus Staßfurt.
Auch die Tradition, Kostüm- oder Bühnenbildner einer Produktion Programme gestalten zu lassen, wurde im Friedrichstadtpalast gepflegt. Für einige Programmhefte steuerte Kordula Günther bzw. Stövesand nicht nur für den Titel, sondern auch für den Innenteil besonders liebe- und fantasievolle Illustrationen bei.

Bobbi Richter 1966

Bobbi Richter 1965

Kordula Stövesand 1990

Montag, 28. März 2022

Ausstrahlung


Illustration von Georges Goursat im Programm der Gala de l'Union des Artistes 1950

In den letzten Jahren ist der Circus einmal mehr im Umbruch. Der Zeitgeist verlangt Wandel, dem fast alle verbliebenen traditionellen Unternehmen mehr oder weniger weitgehend unterliegen. Solche Entwicklungen gab es schon immer und ihre Bewertung ist eine Frage des Standpunkts (vgl. https://circusplakate.blogspot.com/2021/08/purismus.html ).
Eine Entwicklung aber ist deutlich zu kritisieren. Der Ausstrahlung der Artisten, die entscheidend ist für die Wirkung einer Darbietung, scheint zunehmend weniger Gewicht beigemessen zu werden. Es gibt Ensembles, mitunter ganze Programme, bei denen Individualität überhaupt keine Rolle mehr spielt. Die durchgestylten anonymen Akteurinnen und Akteure werden im wahrsten Sinne des Wortes innerhalb streng choreografierter Darbietungen austauschbar.
Dem Publikum präsentieren sich unbeteiligt und unterkühlt dreinschauende Akrobatinnen und Akrobaten, die sich allenfalls bisweilen ein aufgesetztes, einstudiertes Lächeln abringen; selbst vermeintlich heitere, tänzerische Einlagen werden heruntergespult und vermitteln eine eigentümliche Künstlichkeit.
Artisten der anderen Sorte haben bei aller Professionalität und Perfektion eine ganz andere Ausstrahlung, wie sie in den hier ausgewählten und vielen weiteren Illustrationen des Blogs zum Ausdruck kommt. Dabei reicht die Bandbreite von überbordendem Temperament über eine introvertierte Eleganz, herzliche Fröhlichkeit, Exzentrik bis hin zur freundlichen Distinguiertheit der Pferdeleute - echte Typen eben.

Inge S. Micha Koeck: Artisten vor dem Auftritt. Kunstpostkarte 1960

Josef Straka: Acrobates. Kunstpostkarte um 1935

Portrait der Seiltänzerin Mimi Paolo von Wilhelm M. Busch