Menschen - Tiere - Sensationen: Mai 2021

Donnerstag, 6. Mai 2021

Pulps

Hans Stosch-Sarrasani ließ in den 1920er Jahren zu Re-

klamezwecken eine Heftreihe mit seinen vermeintlichen

weltweiten Abenteuern schreiben und verbreiten.

Die 1930er bis 50er Jahre waren in den USA die große Zeit der Pulp-Magazine – Trivialliteratur mit reißerischen, höchst „augen-fälligen“ und auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmten Titelbildern überaus fähiger Illustratorinnen und Illustratoren als wichtigste Kaufanreize. Dieser farbenfrohen äußeren Gestaltung stand ein in zweifacher Hinsicht „billiger“ Inhalt hinsichtlich der literarischen als auch der materiellen Qualität gegenüber. Die „Pulpe“, der grobe Faserbrei, aus dem das minderwertige Papier hergestellt wurde, gab den Magazinen ihren Namen. Die deutschen „Groschenhefte“ fielen vor dem Krieg zumeist in Machart und Inhalt deutlich zurückhaltender aus. Erst in den 1950er Jahren, als in Amerika die „Pulps“ zunehmend an Verbreitung verloren, kamen hierzulande vergleichbar aufgemachte Romanhefte auf, die sich bis in die 1990er Jahre hinein großer Beliebtheit erfreuten, wenngleich die Coverillustrationen i.d.R. weniger beeindruckend waren.
Der Circus nahm als Thema der Action-, Liebes-, Horror-, Kriminal- oder Abenteuergeschichten keine besondere Rolle ein. Interessant sind aber stilistische Entsprechungen zu Plakaten für B-Filme und Circusse – und nicht von ungefähr gestalteten vor allem italienische und spanische Grafiker häufig gleichermaßen Circus- bzw. Filmplakate sowie Titelbilder von Heftromanen und Comics.

Walter Molino

H.J. Lührs

Vicente Ballestar

Vom Wert und Wesen des Circusplakats

Ungeachtet der enormen Bedeutung, die illustrierte Druckwerbung für das Unterhaltungsgewerbe im Besonderen und für die Herausbildung des Plakatwesens generell hatte, findet das Plakat im Unterhaltungsbereich in den meisten Gesamtbetrachtungen zur Plakatkunst nur wenig eingehende Beachtung. Ausnahmen machen Arbeiten Toulouse Lautrecs, konstruktivistische sowjetische Filmplakate der 1920er Jahre sowie allenfalls noch Circusplakate der Polnischen Schule aus den 1960er und 70er Jahren.

Ein Grund hierfür stellt sicherlich die bei vordergründiger Betrachtung wenig innovative oder auch künstlerisch anspruchsvolle Gestaltung vieler Varieté-, Schaustellungs-, Circus-, Revue-, Zauberer- und anderer Plakate der „leichten Muse“ vor dem Hintergrund ihrer besonderen funktionalen Ausrichtung dar, die in sehr spezifischer Weise die Vorstellungswelten breiter Publikumsschichten erreichen mussten, um hierauf aufbauend bestimmte Erwartungshaltungen zu bedienen bzw. zu wecken.

Schausteller und fahrende Artisten wie beispielsweise Kunstreitergesellschaften, Menageristen, Springer oder Seiltänzer waren Pioniere im Einsatz bebilderter Druckwerbung in Form von mit Holzschnitten versehenen Anschlagzetteln.

Bei der Entwicklung des farbigen, lithografierten Plakats war das Unterhaltungsgewerbe ebenfalls von zentraler Bedeutung und alle bedeutenden frühen Plakatkünstler wie Cheret, „PAL“, Grün, Steinlen oder Toulouse Lautrec schufen zahlreiche Arbeiten für Circus, Revue, Kabarett, Varieté und dergleichen.

In der Folgezeit schien sich insbesondere das Plakat im Circus- und Schaustellergewerbe unabhängig von künstlerischen Entwicklungen kaum weiterzuentwickeln – im Gegenteil: Die Entwerfer von Lithografien der entsprechend spezialisierten Druckereien orientierten sich augenscheinlich an der akademischen Malerei des späten 19. Jahrhunderts.

Bei genauerer Betrachtung muss diese Sichtweise allerdings relativiert werden, da sie einerseits die einzigartigen ästhetischen und werbepsycholgisch sehr wirksamen Qualitäten dieser „herkömmlichen“ Plakate vernachlässigt und andererseits herausragende, auf der Höhe der Zeit befindliche Entwürfe von Plakatkünstlern wie beispielsweise Hohlwein, Jo Steiner, Carl Moos oder die Brüder Lehmann außer acht lässt bzw. den Umstand übersieht, dass sich aktuelle Tendenzen der Plakatkunst in besonderer Weise immer auch in Circusplakaten widerspiegelten.

Ganz besonders interessant sind in diesem Zusammenhang in den Jahren unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg entstandene signierte Friedländer-Plakate, die sich in ihrer grafisch überaus fortschrittlichen, expressiven Gestaltung grundlegend von den zahlreichen i.d.R. unsignierten übrigen Produkten dieser Druckerei unterschieden. Einige dieser Arbeiten von Friedrich Ludwig Sonns, Eleonora Rozanek oder Hans Reyersbach, dem späteren Schöpfer des Kinderbuchklassikers „Curious George“, warben für Sarrasani und Hagenbeck, die weitaus meisten jedoch für „Manegenschauspiele“ von Paula Busch: Die rührige Direktorin versuchte vor allem ihr Berliner Haus als anderen hauptstädtischen Unterhaltungsstätten künstlerisch ebenbürtiges Etablissement zu etablieren und in diesem Zusammenhang ließ sie Plakate gestalten, die selbst der augenfälligsten innovativen Druckwerbung für Kabarett-, Revue-, Film- und Theaterveranstaltungen in nichts nachstanden.

Aber auch Größen der Zunft arbeiteten für Circusse, in Frankreich beispielsweise Charles Kiffer oder Marcel Vertés, in Skandinavien Erik Stockmarr, Ib Antoni oder Per Arnoldi.

Zumeist waren es bestimmte, kunstsinnige Direktionen wie Medrano, Benneweis oder Schumann, die diese Arbeiten in Auftrag gaben, und auch in Deutschland ließ Margarete Kreiser-Barum in den 1960er Jahren Kurt Steinel Werbegrafik für ihr Unternehmen gestalten.

Zuvorderst ist allerdings der Circus Knie zu nennen, dessen Saisonplakate in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder von herausragenden eidgenössischen Plakatkünstlern wie Leupin, Brun, Erni, Falk oder Piatti entworfen wurden.

Eine ähnlich guten Ruf wie das Schweizer Plakat der 1950er und 60er Jahre genoss die berühmte „Polnische Schule der Plakatkunst“ bis in die frühen 1980er Jahre hinein. Dem Plakatschaffen kam in den Staaten des früheren Ostblocks eine besondere Bedeutung zu. Hier konnten sich die Künstler jenseits des „Sozialistischen Realismus“ erproben und sich mit verschiedenen, auch westlichen Entwicklungen wie der „Pop-Art“ auseinandersetzen, wobei die sowjetische Plakatkunst der polnischen zumindest ebenbürtig war. Das Circusplakat war dabei eines der zentralen Sujets der polnischen Grafiker. Ihre Arbeiten waren so erfolgreich, dass sie schließlich ihre eigentliche funktionale Bedeutung verloren und fast ausschließlich für den (internationalen) Grafiksammlermarkt geschaffen wurden. Circusse setzten die von den bedeutendsten polnischen Grafikern in regelmäßigen Abständen geschaffenen Arbeiten kaum noch ein.

Doch auch die rein funktionale, auf einen breiten Publikumsgeschmack abzielende „herkömmliche“ Werbegrafik, die oftmals von hervorragenden Gebrauchsgrafikern gestaltet wurde, verdient die umfassende Würdigung, die seit einiger Zeit beispielsweise auch „gewöhnlichen“ Filmplakaten als Teil der Popkultur zukommt. Beim Circus- wie auch beim artverwandten Filmplakat existierten dabei bis weit in die 1960er Jahre nationale stilistische Ausprägungen, die mit der Verbreitung italienischer Plakate in ganz Westeuropa weitgehend verschwanden. Die italienischen Plakatmaler, die in der Regel auch oder sogar in erster Linie Filmplakate schufen, waren die letzten Vertreter einer Kunst, die seit dem Aufkommen computergesteuerter Bildverarbeitungsprogramme seit dem Ende der 1980er Jahre allenfalls noch ein Nischendasein fristet.

(Es freut mich, einige zentrale Inhalte dieses Textes in der Programm-Illustrierten eines bekannten deutschen Circusunternehmens wiederzufinden. Kein Verständnis habe ich allerdings für die fehlende Quellenangabe - zumal sich der Direktor immer wieder über vermeintliche Kopisten echauffiert.)