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Samstag, 14. Dezember 2019

Varieté und Revue - zwölfter Exkurs


Plakat von Ernst Lauen Roth zur DDR-Wiederaufführung des Spiel-
films "Die drei Codonas" (1940), der u.a. im "Wintergarten" spielt.

Während Tiernummern weitgehend aus den Varietéprogrammen verschwunden sind, immer mehr Circusse vor allem auf Akrobatik sowie Komik setzen und mitunter sogar völlig auf Tiernummern verzichten, waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch Vorführungen großer Tiere wie Pferde oder Raubtiere bis hin zu Elefanten auf den damaligen Varietébühnen mit ihren beachtlichen Ausmaßen vor allem während der Winterpausen der Circusse durchaus verbreitet. 
Darüber hinaus konnte das Publikum auch andere Darbietungen im Varieté erleben, die heutzutage eher im Circus verortet werden. Viele der großen Häuser ermöglichten gar das Engagement von Flugtrapez-Truppen wie die „Codonas“, die häufig in Varietés auftraten.
Auch die berühmten Clowns jener Jahre wie die Fratellinis, die Bronetts, die Rivels oder Grock waren gleichermaßen Stars der Manegen und der Varietébühnen.

"Los Cherros" traten Ende 1939 im "Plaza" auf. Den Programm-
titel gestaltete, wie auch die folgenden, Kurt Hilscher. 

Bob Matthew präsentierte im Januar 1939 seinen Löwen "King 
Tuffy" im Wintergarten. Aber auch ganze Raubtiergruppen 
wurden von den großen Häusern enagiert.

Im Oktober 1937 ritt Micaela Busch die "Hohe Schule" auf der
 großen Bühne des Berliner Wintergartens.

Montag, 9. Dezember 2019

Nostalgia


Leider hat Roncalli, der in früheren Jahren so großartige Darbietungen wie die von Yasmine Smart, Susanna
Svenson, Geraldine Katharina Knie oder Manuela Beeloo präsentierte, mittlerweile keine Pferdedarbietungen
mehr im Programm und verzichtet damit nicht nur auf ein zentrales "nostalgisches", sondern auch auf ein für
den Circus wesentliches atmosphärisches Element. Dabei erfreuen sich Pferdeshows wie "Equitana" oder
 "Appassionata", aber auch klassische Pferdecircusse wie Knie oder Alexis Gruss enormer Beliebtheit. 

Mit Roncalli tauchte 1976 ein Unternehmen auf, das die internationale Circuslandschaft nachhaltig verändern sollte. Der 1980 einsetzende enorme Erfolg des Newcomers rührte nicht zuletzt daher, dass seinerzeit die Nostalgiewelle einen Höhepunkt erreicht hatte und Direktor Bernhard Paul es überaus geschickt verstand, Vorstellungen von einem idealisierten Circus vergangener Tage Wirklichkeit werden zu lassen.
Dieses „Konzept“ wirkte sich schnell auf das Erscheinungsbild und die Programmgestaltungen der Konkurrenz aus, einige Unternehmen wie „Ca- bzw. Barelli“ oder „Fliegenpilz“ ahmten Roncalli in vielerlei Hinsicht dabei sehr weitgehend nach. Ganz besonders positiv strahlte Roncalli auf Familiencircusse aus. Einige zuvor völlig unscheinbare Kleincircusse verwandelten sich in den 1980er und 90er Jahren in regelrechte Schmuckstücke und bescherten ihren althergebrachten Programmen in neuer Verpackung unter dem Motto „Opas Circus lebt“ einen deutlich verstärkten Publikumszuspruch.
Das Heraufbeschwören vermeintlich guter alter Zeiten, die Klage über das Schwinden der „Circusromantik“ sind dabei nicht auf die 70er und 80er Jahre beschränkt. Schon "Signor Saltarino" (H.W. Otto) beklagte beispielsweise um die vorletzte Jahrhundertwende das Ende des guten alten Pferdecircus durch die „Amerikanisierung“ des Circuswesens“: "Ich fürchte, daß der alte, schöne und elegante Zirkus untergehen wird im Tamtam der wilden Reklame". (Das Artistentum und seine Geschichte, Leipzig 1910, S.53) 
Auch die "Romantik" des "Fahrenden Volkes" sah Saltarino dem Untergang geweiht: "(...) er ist dem Circus des electrischen Lichts nicht hold, der nach seiner Ansicht aller Romantik bar, er, der nur mit der Maringotte durch die Länder gezogen, als die Eisenschienen noch nicht den Erdball umpanzerten. Freilich, unter dem fahrenden Volk des Heute entfaltet sich auch nur noch ein sehr dünnes Restchen jener Poesie und Romantik, die mit den Märchen und Mythen das künstlerische Vagabondenleben vordem umwob und dürfte es ihm in Erinnerung an sein einstiges fahrendes Künstlerthum um so strahlender jetzt erscheinen, je ferner es ihm liegt, je glänzender es das Zauberlicht der Erinnerung verklärt." (Artikel über den Artisten "Alfredo" in ""Pauves Saltimbanques" aus dem Jahr 1891)
In den 20er Jahren waren es vor allem "der Manege wesensfremde" schauspielerische Elemente, die die Eigenart des Circus zu gefährden schienen: "(...), und es kam, genau genommen, einer Bankrotterklärung der spezifischen Manegenkünste gleich, wenn man auf die Mithilfe der Thespisjünger, die vordem, (...) stets ein wenig verächtlich auf die Zirkusmenschheit herabzublicken gewillt waren, nicht mehr verzichten zu können glaubte." (Joseph Halperson, Das Buch vom Zirkus. 1926, S.124) 
1934 hingegen sollte ausgerechnet eine "Theater-Revue" zu einer "Renaissance" der "guten alten Zeiten" beitragen. 1934 schrieb Ladislaus Bus-Fekete im Programmheft zu seinem Stück „Der Stern der Manege“: „In den letzten Jahren ist der Zirkus mit seiner eigenartigen, köstlichen Atmosphäre ein wenig außer Mode gekommen. Der Zirkus, der uns einst so viel Amusement gab. Ich fühle es aber, dass diese Komödie im Zirkus dessen Renaissance sein wird und dass wir damit vielleicht für ihn die guten alten Zeiten wieder bringen. Und damit Erinnerungen, die für uns die schönsten sind.“
Die in den 1980er und 90er unter Circusleuten - und -freunden oftmals sehr hitzig geführte Diskussion um den Stellenwert aufkommender, zunächst als "Alternativcircusse" bezeichneter Erscheinungsformen des "Nouveau Cirque" und vermeintlich negativer  Auswirkungen auf den "klassischen" bzw. "traditionellen" Circus stand somit genau genommen selbst in einer weit zurückreichenden Tradition kritischer Einstellungen zu Veränderungstendenzen. 

Nicht zu vernachlässigen ist im Zusammenhang mit der Heraufbeschwörung vergangener Zeiten der Umstand, dass das Anknüpfen an verklärende Bilder in den Köpfen der Menschen schon immer eines der Mittel war, um Publikum in die Zelte locken – und das gilt auch heute: Zu Beginn der Reisesaison 2019 präsentierte sich der Circus Krone, der seinen Shows zuvor lange Zeit mit Revue-Elementen einen eigenen Anstrich zu geben versuchte, in einem ganz neuen, nostalgischen Outfit und mit einer völlig veränderten Programmkonzeption. Abermals wird dabei ein idealisiertes Bild von der Vergangenheit in die Gegenwart projiziert, wobei die Zeitreise diesmal nicht die Gründerzeit und die vorletzte Jahrhundertwende, sondern die 1920er Jahre zum Ziel hat – Art Deco statt Jugendstil und „Jahrmarktsbarock“.

Für "Der Stern der Manege" gestaltete die Kostümbildnerin
Gerda Gottschlich auch das Cover des Programmheftes.

Das März-Programm des Circus Krone aus dem Jahr 1941 mit einer
nostalgisch anmutenden Illustration von Lutz Ehrenberger. 

Das äußere Erscheinungsbild des 1992 gegründeten Circus Flic Flac
orientierte sich zunächst stark an Roncalli, man spielte sogar in dessen
ehemaligem Chapiteau. Bei der Programmgestaltung gingen die
Kasteins jedoch von Beginn an eigene Wege.

Sonntag, 8. Dezember 2019

Briefschmuck


Oberer Teil eines von Gustave Soury 1928 gestalteten Briefbogens

Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzten Unternehmen für ihre Geschäftspost ansprechende und oftmals sehr aufwändig gestaltete repräsentative Briefbögen ein, um Kunden, Geschäftspartner oder auch Behörden beispielsweise mit Darstellungen ausgedehnter Fabrikanlagen zu beeindrucken.
Die Circusse standen dem in nichts nach, ' setzten in branchentypischer Manier häufig sogar in besonderer Weise auf einen „eindrucks-vollen“ Briefschmuck, wobei die Farblithografien nicht selten die Hälfte des Blattes einnahmen.
Im Idealfall spiegelt die Gestaltung eines solchen Briefkopfes den besonderen Charakter eines Unternehmens wider, so auch das obige Beispiel aus neuerer Zeit, das Bernhard Paul persönlich gestaltete.

1929

Briefbögen mit diesem Kopf nutzte Sarrasani sinnigerweise u.a. für die Korrospondenz mit Firmen,
die nach Gastspielende mit der Platzreinigung bzw. -wiederherstellung beauftragt waren. (1931)

Kopf eines Schreibens aus dem Jahr 2001